Svenja Hartmann lacht gern über sich selbst – und genau darin liegt ihre Stärke. Mit Humor und Offenheit spricht sie über das Leben mit einer sichtbaren seltenen Erkrankung, über Mut, Respekt und warum sie sich auf ihren Auftritt bei der SEBRACON besonders freut.
Liebe Svenja, wenn du dich in drei Worten beschreiben müsstest – welche wären das?
Größenwahnsinnig, mutig und witzig.
Was bedeutet „mutig“ für dich ganz persönlich im Alltag?
Mich Herausforderungen zu stellen – genau dann, wenn das Bauchgrummeln da ist. Konflikte ansprechen, schwierige Aufgaben anpacken, Neues ausprobieren, obwohl ich nicht weiß, ob es klappt. Mut heißt für mich, die eigenen Ängste zu überwinden. Danach fühlt es sich immer leichter an.
Deine Erkrankung – die fibröse Dysplasie – nennst du unberechenbar. Was heißt das konkret?
Es gibt keine klare Prognose. Kommen noch Wachstumsschübe? Bleibt es stabil? Man kann keinen Haken dranmachen. Damit verbunden sind Risiken – etwa für Sehkraft oder Gefühlsempfinden. Man lebt mit einem „Vielleicht“ und lernt, mit Unsicherheit umzugehen.
Ab wann war das für dich Thema?
Meine Eltern stellten bei mir eine Asymmetrie fest – da war ich vier, fünf Jahre alt – und die Diagnosesuche begann. Ich selbst habe das lange nicht verstanden, weil ich mich normal fühlte. In der Grundschule merkten Mitschüler dann: „Svenja sieht anders aus.“ Wenn sich jemand über meine Krankheit lustig machte, habe ich gesagt: „Mein großes Gehirn braucht einfach mehr Platz.“ Dann waren sie still. Mit zunehmendem Alter funktionierte dieser Spruch nicht mehr, aber er hat mir gezeigt: Ich kann Menschen um mich versammeln. Ich hatte immer Freundinnen und Freunde, die mich in Schutz genommen haben – dieses Gefühl von Zusammenhalt begleitet mich bis heute. Richtig bewusst wurde es in der Pubertät, wenn Vergleiche, Schminken oder erste Dates Thema werden.
Wie bist du mit verletzenden Situationen umgegangen?
Ich hatte immer schon eine große Klappe (lacht). Ich habe aktiv Menschen angesprochen, Freundeskreise aufgebaut, Strategien entwickelt. Aber es gab auch harte Momente – zum Beispiel, als mich Mädchen durch mehrere Läden verfolgten und auslachten. Solche Erlebnisse brennen sich ein.
Was wünschst du dir von Menschen, die dir begegnen?
Neugier ist okay – Respekt ist Pflicht. Ein „Hallo“ und eine höfliche Frage öffnen Türen. Was gar nicht geht, sind Grenzverletzungen oder Übergriffigkeit. In Clubs oder Bars entstehen oft tolle Gespräche – da geht es um gemeinsame Erlebnisse, nicht ums Starren.
Du hast auch eine extreme Erfahrung im medizinischen Kontext gemacht.
Ja, das war tatsächlich eine der heftigsten Situationen. Während meiner Schwangerschaft sagte eine Ärztin zu mir, Eltern würden behinderte Kinder „in der Natur zurücklassen“ – und dass viele Menschen es nicht gutheißen würden, wenn ich mit einem Kinderwagen durch die Stadt gehe. Ich war schockiert. Später bekam ich sogar Drohungen vom Klinikverbund, ich solle darüber schweigen. Damals fehlte mir mit Baby die Kraft für einen Prozess – heute würde ich sofort dagegen vorgehen. Sichtbarkeit heißt für mich auch: solche Missstände zu benennen, damit andere sie nicht erleben müssen.
Welche Rolle spielen Kreativität und Poesie für dich?
Schreiben war immer mein Kanal. Sprache ist für mich hochästhetisch, eine Möglichkeit, Erlebtes zu verarbeiten. Später kamen Bühne und Comedy dazu. Ich liebe es, wenn ein Text Menschen lachen lässt und gleichzeitig etwas auslöst. Das ist meine Art, mit schwierigen Dingen umzugehen – und gleichzeitig Freude zu verbreiten.
Du nennst deine Herzensaufgabe, über Krankheit zu sprechen und Inklusion voranzubringen. Wie geht das mit Humor zusammen?
Man darf über vieles lachen – aber selbstbestimmt. Betroffene setzen den Rahmen. Wenn ich Themen auf die Bühne bringe, lade ich zum gemeinsamen Lachen ein. Doch Außenstehende sollten vorsichtig sein mit Witzen über Lebenswelten, die sie nicht kennen.
Du trittst bei der SEBRACON auf. Was bedeutet dir diese Bühne?
Es ist anders aufregend. Menschen bringen unterschiedliche Erfahrungen und Erwartungen mit – viele Themen sind sensibel. Gleichzeitig ist das eine große Chance: zu zeigen, wie viel in uns allen steckt. Ich möchte ermutigen, Dinge auszuprobieren, die man sich bisher nicht zugetraut hat.
Wie kann die SEBRACON Sichtbarkeit und Inklusion pushen?
Es geht darum, Menschen zu erreichen, die sonst nie in Berührung kämen. Ich glaube, die SEBRACON kann Türen öffnen, Berührungsängste abbauen und zeigen: Vielfalt ist normal. Ich bin optimistisch, dass hier etwas Nachhaltiges entsteht.
Was rätst du Menschen, die gerade eine sichtbare oder unsichtbare Diagnose bekommen?
Das Leben ist kein Probelauf. Du kannst die Diagnose nicht wegwünschen – aber du kannst entscheiden, welche Bedeutung sie in deinem Leben bekommt. Gefühle zulassen, ja. Aber dann bewusst fragen: Wie viel Raum gebe ich Schmerz – und wie viel meinen Zielen? Eigene Erfolge, unabhängig von der Krankheit, geben Kraft.
Das Interview führte Emma Howe